Seit dem 16. März 2020 steht unsere Welt Kopf – wie bei vielen #coronaeltern. Die Corona-Pandemie hat alles radikal geändert. „Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen“, besagt ein afrikanisches Sprichwort. Dieses Dorf ist von heute auf morgen alternativlos weggebrochen. Schule, Kindergarten, Spielplätze, Sportverein, Spielkameraden und leibliche Eltern treffen – das war einmal.
Homeoffice und Kinderbetreuung plus Homeschooling
Mein Mann und ich sind berufstätig. Schon vor Corona war es nicht immer einfach, alle Bedürfnisse unter einen Hut oder ausreichend Schlaf zu bekommen. Während ich arbeite, sind die Pflegekinder normalerweise in Schule und Kita. Jetzt sind sie zu Hause. Verrückte Zeiten: Wir üben Abstand halten mit dem Zollstock und das Tragen von selbst genähten Mund-Nasen-Behelfsmasken. Homeoffice inklusive Telefonkonferenzen, während die Pflegekinder laut durch die Wohnung düsen und sich einen Blödsinn nach dem anderen einfallen lassen. Dazu kommt Homeschooling – jeden Tag mindestens 2–3 Stunden wird vorausgesetzt. Trotzdem hat mein Tag nur 24 Stunden.
Nach nur 2 Wochen waren alle Überstunden abgebaut. Urlaubstage aus dem Vorjahr hatte ich keine mehr, also habe ich hier und da Urlaub nehmen müssen. Gut, dass mein Arbeitgeber familienfreundlich ist. Wir haben ein paar Sonderurlaubstage aufgrund der Corona-Krise erhalten, die in wenigen Wochen aufgebraucht sein werden. Nun wird auch bei uns über Kurzarbeit nachgedacht …
Corona-Verhaltensregeln: „Einkaufen ist kein Familienausflug!“
Sprüche wie diese findet man seit Corona an nahezu jedem Ladengeschäft. Auf die Frage, wie eine Alleinerziehende ohne Kinder einkaufen soll, schreibt ein kinderloser Bekannter: „Bestell online oder lass sie zu Hause. Eine Stunde wird das ja wohl mal gehen statt dass man das Leben vieler Menschen riskiert.“ Das ist keine Einzelmeinung. Im Netz werden Eltern angegriffen und übelst beschimpft, wenn sie nur den Wunsch nach etwas mehr Normalität äußern.
Liebe Kritiker, eine Frage habe ich an euch. Jetzt, da mehr und mehr Geschäfte wieder öffnen und immer mehr Eltern wieder arbeiten gehen (müssen), obwohl die Kindergärten und Schulen geschlossen bleiben: Was denkt ihr, wer betreut die Kinder in der Zeit? Es sind die Großeltern – die Risikogruppe, die man eigentlich schützen sollte. Die Parks sind voll von Kinderwagen schiebenden Opas und Omas …
Erwachsene dürfen wieder shoppen, was dürfen Kinder?
Wir Familien fühlen uns allein und im Stich gelassen. Jedes Unternehmen scheint eine bessere Lobby zu haben als die Kinder. Während mehr und mehr Geschäfte nach dem Corona-Lockdown wieder aufmachen dürfen, bleiben Schulen und Kindergärten vorerst für die meisten Kinder geschlossen. „Dann öffnet wenigstens die Spielplätze“, fordern die Familien. Das unterstützt sogar die Bundesfamilienministerin Franziska Giffey. Vorschläge dazu gibt es genug: Zum Beispiel könnte jede Familie eine Berechtigungskarte erhalten, auf der steht, welcher Spielplatz zu welcher Zeit nur von ihr genutzt werden kann. So wäre immer nur eine Familie gleichzeitig dort – Social Distancing könnte eingehalten werden. Stichprobenartig könnte das Ordnungsamt prüfen, ob sich auch wirklich nur die berechtigten Familien auf den Spielplätzen aufhalten.
Wenn mein Mann die Kinderbetreuung übernimmt, kann ich mit einer Freundin spazieren gehen. Mich von Angesicht zu Angesicht austauschen, anstatt via Videochat. Theoretisch könnte sich ein Kind auch mit einem Freund im öffentlichen Raum treffen. Da meine Pflegekinder noch zu klein sind und beaufsichtigt werden müssen, bleibt ihnen diese Möglichkeit verwehrt – ja, sie wird sogar unter Strafe gestellt.
Notbetreuung: Tropfen auf den heißen Stein
Gut, dass es eine Notbetreuung während der Corona-Pandemie gibt. Gut, dass diese gerade ausgebaut wird. Aber nur, weil ein Kind berechtigt ist, die Notbetreuung in Anspruch zu nehmen (Stichwort: systemrelevanter Job), heißt das noch lange nicht, dass es auch in den Kindergarten gehen kann. Unser Kindergarten weigert sich beispielsweise, unser Pflegekind aufzunehmen – da nicht städtisch, darf er das sogar. Daran kann auch unser Oberbürgermeister nichts ändern.
Die Bedürfnisse der Jüngeren werden missachtet. Sie haben keine Stimme […]. Kindern werden gerade ohne Bedenken pädagogische Angebote entzogen, die wir bisher für so unerlässlich für ihre Entwicklung hielten.
Mareike Kunter, Psychologin im Interview mit Zeit Online
Zum Glück gibt es in Deutschland eine Schulpflicht. So kann zumindest unser Großer von der Notbetreuung profitieren. Der Weg dorthin war steinig. Auch wenn es nur wenige Stunden pro Woche sind, die er dort betreut wird (im Vergleich zu sonst), entlastet das schon enorm. Wir alle – die Kinder und die Pflegeeltern – sind seither viel entspannter. Auch eine andere Pflegemama schreibt: „Der Kleine fühlt sich im Kindergarten wohl […]. Seitdem ist er wieder entspannter, Aggression und Autoaggression sind deutlich rückläufig.“ So wie ihr, geht es vielen (Pflege-)Familien.
Corona und Pflegefamilien
Ob Fortbildungen für Pflegeeltern oder unser geliebtes Pflegeeltern-Treffen – alles wurde auf unbestimmte Zeit verschoben. In Hamburg wurden betreuungsintensive Pflegekinder von Anfang an in der Notbetreuung bedacht. Anderswo hat der Allgemeine Soziale Dienst (ASD) eine Kinderbetreuung für Pflegekinder eingerichtet. Warum nicht überall? Pflegekinder haben (im Vergleich zu Nicht-Pflegekindern) meist einen erhöhten Betreuungsbedarf. Aber die bisherigen Angebote sind mit dem Corona-Lockdown ja allesamt weggebrochen. Leisten kann das kaum eine Familie dauerhaft. 6 Wochen waren schon hart, wie lange sollen wir noch ohne Unterstützung durchhalten? Ich bin urlaubsreif. Meine Sachbearbeiterin ist zudem gerade in den wohlverdienten Ruhestand gegangen …
Wie geht es weiter?
Schulen und Kindergärten sollten zeitnah wieder öffnen – nicht erst ab September. Natürlich mit entsprechendem Konzept! Gut, dass hier schon an Ideen gearbeitet wird (Schulbuskonzept, Pausenkonzept, ausreichend Seife etc.). Dass nichts mehr so sein wird, wie vor Corona, ist uns allen klar. Wir müssen alle nach wie vor Abstriche machen und Kompromisse eingehen. Aber Kinder weiterhin auszuschließen – das ist keine Alternative.
Unter dem Hashtag #coronaeltern berichten Familien aus ihrem turbulenten Alltag seit der Corona-Pandemie.